In diesem kurzen Eintrag möchte ich die Galoistheorie auf eine Weise begründen, auf die ich wünsche, jemand hätte mir sie längst begründet. (Na ja, sicherlich hat jemand sie irgendwo so beschreibt, doch eine solche Erklärung habe ich nie gefunden.)
Der Befund, für den die Galoistheorie hauptsächlich berühmt, mindestens in der Popmathematik, ist, gibt an, daß einige Polynomen nicht mit den Wurzeln gelöst werden können. Zwar ist diese Tatsache sehr rätselhaft und fast unglaublich. Wenn man zum ersten Mal als ein Student in der Gymnasium, der Algebrakursen belegt, von diesem Phänomen erfahrt, dann traut man den eigenen Ohren nicht, weil die Hauptfähigkeit, die man im Bezug auf die Polynomen da entwickelt, ist das Lösen mittels Wurzeln, und diese Fähigkeit soll man ausüben, ohne sogar zu bemerken, daß sie in manchen Fällen unmöglich ist. Das Rätselhafteste ist die Tatsache, daß die quintische Polynomen die Grenze dieses Phänomens sind. Wie kann es sein, daß es Algorithmen zur Lösung der quadratischen, kubischen und quartischen Polynomen gibt, doch ab Grad 5 nicht? Es kommt so zufällig vor.
Um die Unlösbarkeit der Polynomen fünften Grads zu verstehen, braucht man sehr viel mathematische Vorkenntnis. Man muss die Gruppentheorie studieren, damit man die Definition von einer auflösbaren Gruppen versteht, und dafür soll man sich auch sehr gut mit den normalen Untergruppen und mit dem semidirekten Produkt auskennen. Dann muss man beweisen können, daß bestimmte Gruppen, insbesondere $S_5$, nicht auflösbar sind, und dazu soll man beweisen können, daß bestimmte Untergruppen (z.B. $A_5$) einfach sind. Danach muss man die Definition einer Galoisgruppe verstehen um diese kalkulieren zu können. Dafür gibt es Techniken, die Polynomen von niederem Grad behandlen, aber die Schwierigkeit dieses Problems macht steil.
Diese Themen haben wir in meinem gradualen Algebrakurs behandelt, aber als ist Student des Gymnasiums war kamen sie mir so schwierig vor, daß ich es gar nicht wagte, sie zu studieren. Ich wünsche doch, ich wäre nicht so eingeschüchtert gewesen! Die Unauflösbarkeit ist nur eine der rästselhaften und unintuitiven Eigenschaften der Polynomen und seiner Wurzeln. In diesem Blogeintrag möchte ich nur ein paar Phänomene beschreiben, die (hoffentlich!) auch die unerwartete Komplexität der Polynomwurzeln vorzeigt und doch ein bisschen erreichbarer sind.
Stell dir mal vor, daß du symbolisches Rechnen mit den algebraischen Zahlen durchführen möchtest, einschlißlich der Quadratwurzeln wie $\sqrt 2$ und $\sqrt 3$, der Kubikwurzeln wie $\sqrt[3]{2}$, und auch der Wurzeln der Polynomen, die du nicht exakt lösen kannst, zum Beispiel $x^5+x+3$. Im Prinzip könntest du eine besondere Name jeder neuen algebraischen Nummer bestimmen, die du einbringen möchtest, und das Polynom, von dem jeder Nummer ein Wurzel ist, nachhalten.
Zum Beispiel, es könnte sein, daß du schon die Rationalnummer von $\mathbb Q$ repräsentieren kannst und dazu alle Ausdrücke ergänzen willst, die auf Rationalnummern und $\sqrt{2}$ aufgebaut werden können. Du könntest das Symbol $\alpha$ als Ersatz für $\sqrt{2}$ dienen laßen und komplexere Ausdrücke als Polynomen oder rationale Funktionen der Argumentvariabel $\alpha$ repräsentieren. Zum Beispiel würde $1+2\alpha$ die Nummer $1+2\sqrt{2}$ repräsentieren. Der Ausdruck $1+\alpha^2$ wäre einfach $3$, weil du weißt, daß $\alpha^2 = 2$. Der Ausdruck $1/\alpha$ könnte man wohl zu $(1/2)\alpha$ vereinfachen: du weißt, daß $\alpha^2=2$, also daß $\alpha\cdot (\alpha/2) = 1$, deshalb ist $(1/2)\alpha$ die Reziproke von $\alpha$. Und so weiter. Durch das Experimentieren könntest du dich überzeugen, daß irgendeine rationale Funktion der Argumentvariabel $\alpha$ sich zum Form $x+y\alpha$ zwingen läßt, wo $x,y$ rationale Nummern sind, und man kann ein Algorithmus dafür ausrechnen.
Man könnte auch mir den Zerfällungskörpern arbeiten wollen. Ein Zerfällungskörper ist ein Körper, dem man alle die Würzeln eines bestimmten Polynoms hinzugefügt hat. Zum Beispiel, der Zerfällungskörper, der dem Polynom $x^2-2$ entspricht, ist $\mathbb Q(\sqrt 2)$. Der Zerfällungskörper des Polynoms $x^4-4$ ist nicht $\mathbb Q(\sqrt 2)$ sondern $\mathbb Q(\sqrt 2, i)$, weil dieses Polynom auch imaginäre Wurzeln, nämlich $\pm i\sqrt{2}$, besitzt.
Es ist aber nicht so, daß alle Polynomen Wurzeln haben, die sich so schön mittels der Radikale ausdrücken lassen. (Der Galoistheorie nach ist überhaupt unmöglich in den meisten Fällen, aber man braucht keine Galoistheorie, um zu kennen, wie schwer es ist, zufällige Polynomen mittles Radikale zu lösen!) Also, um symbolische Mathematik mit den Polynomwurzeln durchzuführen, könnten wir gern Symbole ergänzen, die die Wurzeln eines Polynom repräsentieren, das wir faktorisieren wollen, und die Gleichheiten, die diese Mengen erfüllen, erinnern, um komplexere Ausdrücke zu vereinfachen, die sie beinhalten.
Zum Biespiel, wie wir schon gesehen haben, um die Zerfällungskörper des Polynoms $x^2-2$ darzustellen, könnte man seine Elemente als rationale Funktionen der Argumentvariabel $\alpha$ repräsentieren, in den $\alpha$ für $\sqrt{2}$ steht, und erinnern, daß $\alpha^2-2$, um diese rationale Funktionen so weit wie möglich zu vereinfachen. Mal merken, daß es nicht nötig ist, ein zweites Symbol $\beta$ zu ergänzen, die der zweiten Wurzel des Polynoms $x^2-2$ entspricht, weil diese zweite Wurzel $-\sqrt{2}$ oder $-\alpha$. Ein zweites Symbol wäre überflüssig, weil sobald man über die Wurzel $\alpha$ verfügt, läßt sich das Polynom als $(x+\alpha)(x-\alpha)$ faktorisieren.
Ziemlich einfach, nicht wahr? Das Schwierig ist, daß wenn es um komplexere Polynomen geht, dann ist es nicht klar, wie viele Variabeln man braucht, um seine Wurzeln ohne Überflüssigkeit zu repräsentieren. Bedenke mal das quintische Polynom Man könnte gern fünf neue Variabeln $\alpha_1,\cdots,\alpha_5$ einsetzen, die für seine Wurzeln stehen, und dann könnte man Berechnungen mit rationalen Funktionen von ihr durchführen und die Gleichheiten $\alpha_i^5-\alpha_i-1 = 0$ benutzen, um diese Ausdrücke zu vereinfachen. Wenn man ein bisschen mehr überlegt, dann könnte man sich überzeugen, daß nur vier Variabeln nötig sind, weil die fünfte Wurzel sich mittels der Anderen ausdrücken läßt, nämlich als $\alpha_5=-\alpha_1-\alpha_2-\alpha_3-\alpha_4$, dank der Formeln Vietas. (Diese Sachlage ist ähnlich wie bei $x^2-2$, wo wir nur ein einziges Symbol brauchten.) Alles gut!
Dann könnte man eine ähnliche Technik fürs irreduzible quintische Polynom Auch in diesem Fall könnten wir vier neue Variabeln $\alpha_1,\alpha_2,\alpha_3,\alpha_4$ einsetzen, um vier von fünf der Wurzeln dieses Polynoms zu repräsentieren. Aber diesmal hätten wir unabsichtlich überflüssige Variabeln eingebracht. Wieso? Es kann bewiesen werden, daß die Wurzeln dieses Polynoms sind und mittels der Doppelwinkelformula kann mann jede von diesen Wurzeln als Polynomausdruck irgendeiner anderen Wurzel ausdrücken. Insbesondere wenn $\alpha_1,\cdots,\alpha_5$ die für die fünf Wurzeln beziehungsweise stehen, dann so läßt sich jeder von $\alpha_1$ aufgebaut werden: Deshalb braucht man nur eine neue Variabel $\alpha$ um alle Wurzeln dieses Polynoms auszudrücken. Wenn wir mehrere Variabeln einbringen, dann wären sie überflüssig! Insebesondere wenn wir die Symbole $\alpha_i$ introduzieren und nur die Gleichheiten $q(\alpha_i)$ erinnern, werden wir einige Ausdrücke "nicht so sehr wie wir sollen" vereinfachen können. Zum Beispiel, der Ausdruck soll zu $0$ vereinfacht werden - wenn $\alpha_1,\cdots,\alpha_4$ verschiedene Wurzeln dieses Polynoms sind, dann wird $\alpha_1^2-2$ einer der Werten $\alpha_2,\alpha_3,\alpha_4$ und $-\alpha_1-\alpha_2-\alpha_3-\alpha_4$ gleichen, weil es auch eine Wurzel von $q$ ist. Doch wenn man nur die Gleichheiten $q(\alpha_i)=0$ weißt, wird man diesen Ausdruck nicht so weit vereinfachen können.
Beim bloßen Anblick eines quintischen Polynoms ist es gar nicht offensichtlich, wie viele Elementen für ein Erzeugendensystem nötig sind. Diese Information kann man doch von der Galoisgruppe eines Polynoms herausfinden. Die Galoisgruppe von $p$ ist $S_5$, und die Tatsache, daß man vier Wurzeln braucht, um sein Zerfällungskörper zu erzeugen, wird von der Tatsache bewiesen, daß es nicht triviale Permutationen der Menge ${0,1,2,3,4}$ gibt, die irgendeine drei Elemente festhalten und die andere zwei Elemente tauschen. Andrerseits ist die Galoisgruppe von $q$ die Gruppe $\mathbb Z_5$ und vergleichsweise wird irgendeine zyklische Permutation der Menge ${0,1,2,3,4}$ vom Bild irgendeiner Element bestimmt.
Es kommt noch eine Schwierigkeit vor. Stell dir vor, du hast einem Körper alle Wurzeln eines Polynoms ergänzt und danach willst du noch ein Polynom zerfallen können. Sagen wir mal, daß du schon das obene definierte Polynom $p$ zerfallen laßen und vier neue Variabeln $\alpha_1,\alpha_2,\alpha_3,\alpha_4$ eingebracht hast und daß du jetzt das Polynom $x^2-2$ zerfallen laßen möchtest, und dafür die Variabel $\beta$ als eine von seinen Wurzeln gelten läßt. Also schön.
Aber wenn du an der Stelle vom Polynom $x^2-2$ das Polynom $x^2-2869$ gewählt hättest, dann hättest du noch mal unabsichtlich eine Überflüssigkeit angerichtet. Es ist so, daß $\beta=\sqrt{2869}$, obwohl es irrational ist, schon dem Zerfällungskörper von $p$ gehört, weil es in den Wurzeln von $p$ algebraisch ausgedrückt werden kann. Nämlich weil $2869$ die Diskriminante des Polynom $p$ ist. Im Allgemeinen kann man beweisen, daß wenn ein Polynom auf $\mathbb Q$ irrezudibel ist, dann gehört die Produkt zum Quadrat der Differenzen zwischen seinen verschiedenen Wurzeln dem originalen Körper $\mathbb Q$ und diese Zahl kann auch in den Koeffizienten des Polynoms ausgedrückt werden. Also wenn diese Zahl keine Quadratzahl ist, dann bekommen wir im Zerfällungskörper eine neue Quadratwurzel. Fürs Polynom $q$, das wir oben definierten, ist das nicht der Fall. Die Diskriminante dieses Polynoms ist $11^4$, der schon eine Quadratzahl von $\mathbb Q$ ist.
Noch mal kann man diese Information aus der Galoisgruppe eines Polynoms herauslesen. Das Auftauchen neue Quadratwurzel im Zerfällungskörper von $p$ hängt damit zusammen, daß $S_5$ eine normale Untergruppe $A_5$ von Index $2$. Die Galoisgruppe $\mathbb Z_5$, die dem Polynom $q$ entspricht, hat gar keine echte Untergruppen und deshalb tauchen in seinem Zerfällungskörper keine Wurzeln irreduziblen Polynomen von niederem Rang auf.
Was mir an diesen eigenartigen Eigenschaften am meisten gefällt, ist die Tatsache, daß sie (meistens) konstruktiv bewiesen werden können. Zum Beispiel, wenn es um das Polynom $p$ geht, kann man rein algebraisch beweisen, daß wenn $\alpha$ eine von seinen Wurzeln ist, dann ist $\alpha^2-2$ auch eine (zwar kann dieser Beweis ein bisschen unschön sein, wenn man ihn konstruktiv durchführt). Auch kann man seine Diskriminante mit ein bisschen Hexerei im Stil von Vieta manuell kalkulieren. Meiner Meinung nach sind diese Phänomene deswegen ein bisschen "greifbarer".
Zwar sind meine quintische Beispiele ein bisschen schwierig zu betrachten. Man kann doch die gleiche Phänomene mit diesen zwei kubischen Polynomen auch beobachten: In diesem Fall hat das Erstere $S_3$ als seine Galoisgruppe und das Letztere $\mathbb Z_3$, damit der Zerfällungskörper von $p$ zwei erzeugende Wurzeln braucht und der Zerfällungskörper von $q$ von irgendeiner Wurzel erzeugt werden kann. Auch in diesem Fall laßen sich die Wurzeln von $q$ mittels der Kosinus ausdrücken und als Übung könnte der Leser ausrechnen, wie genau man das schaffen kann. Man kann auch beweisen, daß die Diskriminante von $p$ die Zahl $-23$ ist, die keine Quadratzahl in $\mathbb Q$ ist doch eine Quadratwurzel im Zerfällungskörper von $p$ hat, und daß die Diskriminante von $q$ die Zahl $7^2$ ist, die schon eine Quadratzahl in $\mathbb Q$ ist.